Bernd-Arno Behrens, Jörg Schröder, Dominik Brands, Lisa Scheunemann, Rainer Nierkamp, Alexander Chugreev, Mohammad Sarhil, Sonja Uebing, Christoph Kock (2019); Metals, Volume: 9, Issue: 4, Artikelnummer: 480
Die moderne Wärmebehandlung ist ein wesentlicher Faktor in der Werkstoffentwicklung des letzten Jahrhunderts. Mit ihrer Hilfe wurden die mechanischen Eigenschaften von Stählen kontinuierlich verbessert und lassen sich heute gezielt einstellen. Hierbei wird sich zumeist die Phasenumwandlungen des Stahls im festen Zustand sowie die Wirkung einer Vielzahl von Legierungselementen zunutze gemacht. Auf Basis dilatometrischer Messungen in bestimmten Aufheiz- beziehungsweise Abkühlversuchen lässt sich das Gefügeumwandlungsverhalten von Stahlwerkstoffen ermitteln. In Zeit-Temperatur-Austenitisierungsschaubildern (ZTA), sowie Zeit-Temperatur-Umwandlungsschaubildern (ZTU) lässt sich das Materialverhalten beim Aufheizen und Abkühlen anschaulich darstellen. Darüber hinaus beeinflusst die Warmumformung des austenitisierten Materials das Gefügeumwandlungsverhalten, weshalb neben den ZTU-Diagrammen auch umform-ZTU (UZTU)-Schaubilder eingesetzt werden. Jedes der genannten Diagrammtypen besitzt eine strenge Gültigkeit nur für den gegebenen Werkstoff und muss daher für eben diesen ermittelt werden. Für die umfassende Gefügeumwandlungsanalyse stehen am IFUM das Abschreck- und Umformdilatometer DIL 805A/D+T sowie der physikalische Umformsimulator Gleeble 3800-GTC bereit.
Veröffentlichung
Der Prozess des Presshärtens gewinnt angesichts der zunehmenden Forderung nach Gewichtsreduzierung in Verbindung mit höherer Crashsicherheit bei Autos an Bedeutung. Eine Alternative zum etablierten Mangan-Bor-Stahl 22MnB5 sind warmumgeformte martensitische Chromstähle wie AISI 420C. Hier sind Festigkeiten von 1850 MPa und Dehnungen von 12 % möglich, die über denen von 22MnB5 liegen. In der industriellen Fertigung wird die FE-Simulation häufig eingesetzt, um Karosserieteile kosteneffizient zu konstruieren. Daher werden in dieser Arbeit die Charakterisierung und die Modellierung von AISI 420C hinsichtlich Fließspannung, Phasenumwandlungen sowie Versagensverhalten vorgestellt. Es werden temperaturabhängige Fließkurven ermittelt, die die geringe Fließspannung und das Verfestigungsverhalten bei Temperaturen um 1.000 °C zeigen. Es werden Abkühlungsexperimente durchgeführt und ein kontinuierliches Abkühlungsdiagramm erstellt. Die beobachteten Phasen sind Martensit und Restaustenit für industriell relevante Abkühlraten über 10 K/s. Darüber hinaus werden Versuche zur Untersuchung temperaturabhängiger Grenzformänderungskurven durchgeführt. Wie erwartet wird die höchste Umformgrenze bei 1.050 °C erreicht und nimmt mit fallender Temperatur ab. Schließlich wird ein Simulationsmodell einer Presshärteprozesskette auf Basis des zuvor charakterisierten Werkstoffverhaltens erstellt und mit experimentellen Werten verglichen. Die Umformkraft, die Phasenumwandlung und die Umformgrenze konnten mit guter Übereinstimmung mit dem Experiment berechnet werden.